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Die Bilder stammen aus dem Archiv von Gisela Hoffmann.
Waldschulgeschichte live
Wir hatten ja schon einiges über die Geschichte der WOS in alten Waldschulbüchern und Jahresberichten gelesen, aber dies war etwas anderes. Da saßen zwei echte „Urgesteine“ aus alten Waldschulzeiten. Anfangs fiel es uns Schülern schwer, in ein Gespräch einzusteigen, aber nachdem die beiden Ehemaligen angefangen hatten, aus ihrem Schülerleben zu erzählen, wurden wir doch sehr schnell „warm“. Einiges in ihren Berichten kannten wir aus eigener Erfahrung, anderes schien uns schwer vorstellbar, fast paradox. Es waren eher einzelne Erlebnisse als die großen Zusammenhänge, an die sich die Ehemaligen erinnerten: Anekdoten von Lehrern, Mitschülern, dem zerbombten Schulgelände und den Problemen, die Schule und Schüler nach Kriegsende hatten. Ich hätte gerne noch mehr über die Verhältnisse in der Schule während der NS-Zeit erfahren, jedoch waren die Erinnerungen hierzu bruchstückhaft, was an der Kürze der Zeit und wahrscheinlich auch daran liegt, dass Herr Dr. Krönert und Herr Siegemund damals noch recht jung gewesen sind. Insgesamt war es eindrucksvoll, seinen Arbeitsplatz auch einmal „live aus der Vergangenheit“ kennen zu lernen.
Daniel Johannsen, Schüler des Abiturjahrgangs 1996
Als der Chronist sich im Herbst vorigen Jahres über diese alterswürdigen Blätter beugte, beschlich ihn die Sorge, wie es mit der Chronik weitergehen sollte. Das Material war aufgebraucht. Da bot Kuffi sc. die ehem. Lehrerin Katharina Kauffmann) Hilfe an. In ihrem Nachlass, dessen waldschul-relevante Teile von Hollands über Gisela Krause zu Schultzes wanderten, fand sich zum Jauchzen verleitendes Quellengut: vor allem ein ganzer Schwung jener gedruckten ,,Waldschulblätter“ (Nr.2-17), worin die Schulleitung und der Elternbeirat in Abständen zwischen sechs Wochen und einem halben Jahr über alle aktuellen Waldschul-Geschehnisse berichteten. Erhalten sind die Blätter von April 1927 bis Juni 1931. Als die Waldschul-Chronik im Sommer 1984 erstmals erschien, war diese Fundgrube verschlossen; im Archiv der Schule fand sich lediglich die Folge Nr.11 vom März 1929 (woraus in u n s e r e r Folge Nr.2 zitiert worden ist). Kuffi selber hockte auf diesen Blättern wie der Zwerg Alberich auf dem Nibelungenschatz, ohne offenbar davon bewusste Kenntnis zu haben; sonst hätte sie die Stücke sicher verfügbar gemacht. Indem sie nun im Nachtragshaushalt der Waldschulgeschichte doch noch zugänglich gemacht werden k ö n n e n, müssen wir natürlich bescheiden und zurückhaltend anheim stellen, wie lange dazu Gelegenheit bestehen wird. Das hängt in erster Linie davon ab, ob Eva und Horst-Werner Schultze die Rundbriefe aus gesundheitlichen Gründen fortzuführen in der Lage sein werden. Zweitens ist das Unternehmen Waldschulbrief eine Geldfrage. Zur Gesundheit können w i r nichts beitragen, wohl aber zu den finanziellen Voraussetzungen des Erscheinens. Spenden sind dringend erforderlich!
Beginnen wir mit dem Faltblatt ,,Waldschulblätter Nr.3, Grunewald, den 1.Juni 1927″. Der Hauptabschnitt darin ist überschrieben: ,,Aus der Chronik der Schule“:
Die Waldschule hat jetzt 338 Kinder in elf Klassen von Sexta bis Untersekunda. Leider ist die beantragte Erweiterung des Geländes trotz vieler Bemühungen bisher nicht genehmigt worden, so dass der Bau des Unterrichtshauses mit Zeichen- und Physiksaal sehr zum Schaden eines erfolgreichen Unterrichts nicht begonnen werden konnte. Im April wurde die vierte Unterrichtsbaracke mit drei Klassen und zwei Nebenräumen fertig gestellt, die vorläufig von der 28.Gemeindeschule benutzt wird, weil die Kinder in ihrem eigenen Gebäude keine Unterkunftsmöglichkeit haben. In der Sommeresshalle sind Bänke und Tische zusammengerückt worden, so dass jetzt 360 Kinder dort Platz haben.
In den nächsten Tagen wird das neue Planschbecken in Betrieb genommen werden; es ist 20 Meter lang, 8 Meter breit und zur Hälfte 1,20 Meter tief. Es besteht jetzt die Möglichkeit, dass die Kinder der unteren Klassen in der Waldschule schwimmen lernen können. Korkgürtel und Schwimmleine sind uns vom Bezirksamt zur Verfügung gestellt worden; geschulte Unterrichtskräfte sind auch vorhanden. Die Anlage hat 18 Brausen; das Becken wird durch eine elektrisch getriebene Pumpe gefüllt, die auch die Brauseanlage mit Wasser versorgt und dieses in ein besonderes Reservoir leitet, wo es von der Sonne erwärmt wird. Eine zweite Pumpe entleert das Becken und befördert das Wasser aufs Gelände. Der ganze Platz ist durch einen Zaun vom übrigen Waldschulgebiet abgetrennt; in einer neu angelegten Garderobe können sich die Kinder an Ort und Stelle auskleiden. Auf dem hinteren Teil ist reichlich Sand zu Sonnenbädern angeschüttet worden, während die Seitenflächen mit Rasen belegt werden sollen. Die Anlage kostet viel Geld, zumal auch die elektrische Leitung bis an das äußerste Ende gezogen und auf dem schon bestehenden Teil verstärkt werden musste.. Bald nach den großen Ferien wird unsere Winteresshalle bedeutend erweitert und dabei ein Raum für Tischlerarbeiten geschaffen werden, der allen Ansprüchen genügen und auch im Winter eine Anzahl Knaben nutzbringend beschäftigen wird. Es soll erreicht werden, dass alle kleinen Holzreparaturen von den Kindern selbst vorgenommen werden.
Aus dem Lehrerkollegium schieden zu Ostern aus: Assessor Grützmacher, die wissenschaftliche Lehrerin Kauffmann und die technische Lehrerin Kohrs. Es traten neu ein: die Assessoren Korth, Lohmann und Linz, der Mitteischullehrer Elendt, die wissenschaftliche Lehrerin Knoop, die technische Lehrerin Maaß und der Turnlehrer Reimann. (Anmerkung der Redaktion: Mit dem Ausscheiden der ,,wissenschaftlichen Lehrerin Kauffmann“ verhält es sich so: Kuffi, vom Direktor Krause sehr geschätzt, konnte dennoch nicht in ihren Fächern Deutsch und Französisch angemessen, das heißt auslastend, verwendet werden, da beide Fachbereiche schon gut besetzt waren. Nach der Hackordnung musste die junge Lehrkraft gegenüber den älteren und dienstälteren Kollegen zurückstehen. Da bot ihr der Chef an, sich auf ihrem zusätzlichen Interessen- und Begabungsfeld Werkkunde in Kursen fortzubilden und, ausgerüstet mit entsprechenden Kenntnissen, nach den Sommerferien wiederzukommen. Dass dies so auch geschah, geht daraus hervor, dass die Folge Nr.4 der ,,Waldschulblätter“ vom 15.Oktober 1927, also die nächst erschienene, in der Rubrik ,,Aus dem Waldschulleben“ im Rückblick auf die vergangenen Arbeitswochen vermeldet: ,,Je 15 Kinder wurden an jedem Dienstag und Freitag nachmittag von Fräulein Kauffmann in der Anfertigung von Papparbeiten unterwiesen. Vieles Schöne ist da geleistet worden…“)
In der eben genannten Folge 4 steht unter der Überschrift ,,Von baulichen Veränderungen“:
Die im Frühjahr errichtete große Schulbaracke mit drei Klassen und zwei Nebenräumen ist während des Sommers von der 28.Gemeindeschule benutzt worden. Da die so dringend notwendige Erweiterung des Geländes nicht genehmigt ist und die Waldschule auf dem jetzt zur Verfügung stehenden Gebiet keinen Platz für weitere Bauten mehr besitzt, muss(te) die neue Baracke von Oktober ab zur Unterbringung der Kinder, die im Sommer im Freien unterrichtet wurden, für unsere Zwecke verfügbar gemacht werden. Eine Klasse wird ständiger Unterrichtsraum für Physik und Chemie; trotzdem wird auf die Dauer für Lehrer und Schüler der Zustand unerträglich, dass eine Realschule für den Unterricht in den naturkundlichen Fächern keinen massiv gebauten Raum mit den Einrichtungen besitzt, die allen Erfordernissen entsprechen. – Die Winteresshalle ist um ein großes Stück erweitert worden, so dass alle Kinder genügend Platz haben. Auch die Schulküche und das Lehreresszimmer mussten vergrößert werden; hinten ist durch Anbau ein Raum für Hobeln und Tischlern entstanden… Sämtliche Klassen und Baracken haben jetzt innen und außen elektrisches Licht erhalten.
Es ist gewiss auch für die jüngeren, damals vielleicht noch nicht einmal geborenen Waldschul-Jahrgänge nachlesenswert, wie ihre Schule in mühsamen Schritten gewachsen ist.
Auszug aus der Waldschul-Chronik, Teil XXVIII, erschienen in: Sommerbrief der Alt-Ehemaligen, Juli 1998, redigiert und herausgegeben von Eva Schultze, Seite 35-37.
„Leider war mit dem Ende von Henkenhagen auch das Ende der Waldschule, wie wir sie kennen und lieben gelernt haben, eingeläutet.“
Während des 2. Weltkrieges wurde das Gelände der Wald-Oberschule von der Organisation Todt, Hitlers Bautruppe, in Beschlag genommen. Die Wald-Oberschule wurde geschlossen und im Oktober 1943 nach Henkenhagen, einem kleinen Ostseebadeort, evakuiert (vgl. Festschrift „75 Jahre Wald-Oberschule: 1910-1985“, Redaktion: Eckart Balzer u.a., Berlin 1985,17f). Wolfgang Wende, der von 1941 bis 1948 die Wald-Oberschule besuchte, unternahm eine Reise in die Geschichte, eine Fahrt nach Henkenhagen an der Ostsee, und schreibt darüber an seine damaligen Mitschüler folgenden Reisebericht. Wir danken Herrn Wende herzlich für die Erlaubnis, ihn abzudrucken.
Es bedurfte erst einiger politischer Veränderungen, bis ich den schon seit Jahrzehnten gehegten Wunsch, Henkenhagen wiederzusehen, in die Tat umgesetzt habe. Vom 26. bis 29. Juni waren meine Frau und ich in Kolberg im Hotel Solny. Wir fuhren von Berlin-Lichtenberg mit dem IR-Zug, stiegen in Köslin in den Regionalzug um und waren pünktlich um 12.41 Uhr in Kolberg. Obwohl Kolberg im Krieg fast zu 90 % zerstört wurde, ist der Bahnhof noch genauso erhalten, wie wir ihn in Erinnerung haben. An der Stelle, an der ich Anfang Oktober 1944 Kofferwache hielt (wir waren auf dem Weg nach Büssow und die Umsteigezeit zur Kleinbahn, die heute nicht mehr fährt, war sehr reichlich bemessen), ist heute ein Taxi-Halteplatz. Ich meldete mich zur Kofferwache freiwillig, die anderen machten einen Stadtbummel, weil ich schon damals nicht gerne gelaufen bin.
Von den 200 Taxifahrern, die in Kolberg ihr Geld verdienen, sprechen nur sechs deutsch, zwei davon lernten wir kennen. In Kolberg angekommen strebten wir sofort dem besagten Halteplatz zu. Kaum abgefahren, fragte der Fahrer, ob wir gebürtige Kolberger seien. Ich sagte darauf, dass mich in erster Linie Ustronie Morskie, Stadt am Meer, wie Henkenhagen heute heißt, interessierte. Darauf entgegnete er: „Sie meinen Henkenhagen!“ und der Kontakt war sofort hergestellt.
Um 15 Uhr holte er uns vom Hotel ab und wir fuhren durch den Kolberger Stadtwald. Meine Erinnerungen gingen zurück zum Januar 1945, als wir dort mit Herrn Brenning Holz gesammelt haben. Die Kohlen waren schon recht knapp, der Winter war sehr kalt. So hatten wir zusätzliches Brennmaterial, um unsere Stuben zu erwärmen. Wir kamen an Bodenhagen vorbei und bogen endlich am Bahnhof Henkenhagen in die wunderbare Allee ein, die zum eigentlichen Ort führ: Die Bäume sind mächtiger geworden, was ja nach 50 Jahren kein Wunder ist. Diese Alle fasziniert mich: Heute wegen ihrer Schönheit, damals wegen ihrer enormen Länge. Vom Bahnhof zum Lager Frentz sind es bestimmt 50 Minuten zu laufen gewesen. Und wenn ich meine Mutter vom Bahnhof abholte, so waren das fast zwei Stunden Fußmarsch mit Gepäck, Junge, Junge! Dass Henkenhagen ein weitläufiger Ort ist, war mir schon seinerzeit aufgefallen. Als wir uns dann dem eigentlichen Ort näherten, mussten wir die südliche Straße benutzen, denn die uns wohlbekannte Dorfstraße ist Einbahnstraße. So fuhren wir weiter in Richtung Funkenhagen, und ich bemerkte bald, dass unser Sportplatz, auf dem wir so viele Leichtathletikwettkämpfe und Handballspiele ausgetragen haben, noch existiert. Der Höhepunkt war aber am 31.8.1944, die Volkstanzaufführung zu Chefs Geburtstag. Mir hat das damals viel Spaß gemacht! Wir fuhren weiter auf der Betonstraße, auf der wir unsere 3000 Meter absolvierten, Papi Reimann auf dem Fahrrad immer vorneweg. Wir wendeten alsbald und machten vor Stöbkes Hotel halt. Es ist von außen recht gut in Ordnung und wird heute als Disco genutzt. Von dort aus machten wir einen Abstecher zu den Lagern Dreimädelhaus, Frentz, Stapel und Moltzahn. Sie sehen von außen so aus, wie wir sie vor so vielen Jahren verlassen haben. Allem Anschein nach werden sie privat genutzt. Der Durchgang vom Lager Frentz zum Strand existiert nicht mehr. Auch die Lager Schwantz und Breger habe ich wieder erkannt. Vom Ziegenberg kann ich nichts berichten, da mir die Häuser, die die Waldschule genutzt hat, nicht bekannt sind.
Henkenhagen hat sich jedenfalls zu einem betriebsamen, kinderfreundlichen Ferienort entwickelt, mit vielen Buden und Kiosken, die genau wie bei uns von den Kindern umlagert sind. Wir beobachteten den Nachwuchs am Strand, sie spielten und tollten genauso herum, wie wir es taten. 50 Jahre sind im Leben eines Menschen schon eine lange Zeit, im Laufe der Geschichte sind sie gar nichts! Ich habe mir oft die Frage gestellt, was es war, dass die Henkenhagener Zeit bei uns einen so nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat? Ich denke, man war kameradschaftlich, übte sich in Selbstdisziplin, lernte mit widrigen Umständen fertig zu werden und stellte nicht das eigene Ich, wie heute üblich, zu sehr in den Vordergrund! Leider war mit dem Ende von Henkenhagen auch das Ende der Waldschule, wie wir sie kennen- und lieben gelernt haben, eingeläutet.
Ein Ausflug nach Büssow durfte natürlich auch nicht fehlen. Es war eine genüssliche Taxifahrt von Kolberg aus und die Landschaft war einmalig schön! In Büssow angekommen erkannte ich sofort den Gasthof wieder, in dem wir vor rund 50 Jahren auf Stroh im Tanzsaal nächtigten. Auch der Bauernhof steht noch, auf dem wir arbeiteten und bestens verpflegt wurden. In dem Gasthof, den wir sonntags und bei schlechtem Wetter zur Freizeitgestaltung nutzten, habe ich von Heini Hirsch das Skatspielen erlernt. Büssows Dorfstraße, an deren Rändern die Bäume zu unserer Zeit wie Zahnstocher in den Himmel ragten, ist eine prächtige Allee geworden. Die Zeit in Büssow war für uns eine recht harte Zeit, denn die Landarbeit, die wir verrichteten, war für uns Stadtkinder doch völlig ungewohnt. Doch wie es so im Leben ist, man behält immer nur die guten Dinge in Erinnerung!
Die Reise in die Vergangenheit war jedenfalls für mich ein voller Erfolg, obwohl sie sich nicht wiederholen wird. Nicht etwa weil Kolberg und Henkenhagen heute polnisch sind, ein Aufenthalt dort würde die Urlaubskasse mächtig schonen. Mir fehlen einfach die Strandkörbe! Denn nichts ist schöner bei einem Urlaub am Meer, als im Strandkorb zu sitzen und dem Spiel der Wellen zuzusehen!
Wolfgang Wende
Das Jahr 1995 war ein Jahr des Gedenkens an das Kriegsende und den Neubeginn vor 50 Jahren. Eine besondere Art der Erinnerung an diese Zeit erlebten Schülerinnen und Schüler der Oberstufe am 9. Juni 1995.
An diesem Tag vor 50 Jahren, am 6. Juni 1945, bereits einen Monat nach der deutschen Kapitulation, begann die Waldschule wieder mit dem Unterricht, als eine der ersten Schulen Berlins, die mit Erlaubnis der Alliierten wieder eröffnen durften. Die Erlaubnis dazu erhielt Frau Dr. Hüttmann, die damalige Schulleiterin aber erst, nachdem sie dem russischen Kommandanten versprochen hatte, Russisch als Pflichtfach einzuführen. So hing am Eingangstor das Schild „Waldoberschule“ auf deutsch und russisch.
Zwei der drei Schüler und 17 Schülerinnen des ersten Abiturjahrganges, die sozusagen von der Front in die Oberprima zurückkehrten, waren Dr. W. Kroener (Berlin) und H. Siegemund (heute in Los Angeles lebend).
An diesem denkwürdigen ersten Schultag, dem 9. Juni, nur 50 Jahre später, waren beide Ehemalige eingeladen, den Abiturienten des Jahrgangs 1995 ihre Geschichte und die der Waldschule in Kriegs- und Nachkriegszeit zu erzählen. Die geschilderten Episoden waren für uns heute fast unvorstellbar und eindrucksvoll zugleich: die nächtlichen Brandwachen der Schüler auf dem Waldschulgelände, die Bombeneinschläge in der Nähe, z.B. in der Deutschlandhalle Anfang 1943 („Das ist ein Geräusch, das man nicht vergisst.“), die Evakuierung vieler Schüler und Lehrer an die Ostsee nach Henkenhagen, das Waldschulgelände als Wehrmachtslager seit 1943, die Plünderung der Schule durch russische Soldaten, die Soldatengräber auf dem Schulgelände und das dreitägige Schulfrei im Juni 1945, um sie zu verlegen – und die Ungewissheit und Trauer über Mitschüler, die als vermisst galten oder gefallen waren. Doch all diese Erinnerungen kontrastierten auch mit dem Bedürfnis der Schülerinnen und Schüler, neu anzufangen, endlich wieder lernen zu dürfen und in die Zukunft zu schauen.
Stefanie Hornung
„Wir mussten nachts bei Fliegeralarm von einem Splittergraben aus beobachten, ob Brandbomben auf das Schulgelände gefallen sind“
Am 6. Juni 1945 öffnete die Waldoberschule als erste Oberschule in Berlin wieder ihre Pforte. Erfahren konnten das die Schüler nur durch Mundpropaganda. So stand meine Mutter zufällig in irgendeinem der schon wieder etablierten Ämter neben Frau Dr. Hüttmann. Frau Hüttmann war – aus welchem Grund auch immer – nicht mit der Schule nach Henkenhagen evakuiert worden und somit bei Kriegsende in Berlin. Sie hatte gleich im Mai die Initiative ergriffen, um den Unterricht wieder in Gang zu bringen. Dazu gehörten allerdings einige Zugeständnisse an den zuständigen russischen Kommandanten: so versprach sie z.B., Russisch als Pflichtfach einzuführen.
Für die Oberprima (die Abiturklasse) hatten sich 17 Mädchen und 3 Jungen eingefunden. Keineswegs nur alte Waldschüler, sondern z.B. auch Schülerinnen der Westendschule und Flüchtlinge aus den Ostgebieten, die es hierher verschlagen hatte.
50 Jahre später saßen wir nun, zwei der inzwischen „alten Knaben“, den zukünftigen „Oberprimanern“ des Jahrgangs 1995/96 gegenüber, um zu vermitteln, wie das Leben eines Oberprimaners von 1945 ausgesehen hatte. Beide waren wir über den Umweg als Flackhelfer und/oder Militärdienstzeit (oder wie mein Vater zu sagen pflegte: „vom Unterprimaner über den Unteroffizier zum Oberprimaner“) in die Oberprima gekommen, beide hatten wir das außerordentliche Glück, bereits zu Kriegsende zu Hause zu sein, beide waren wir Waldschüler von Sexta an.
Der Werdegang eines „Waldschulsextaners“ von 1937/38 zeigt doch erhebliche Unterschiede zu heute. Dabei spielte es sicher eine erhebliche Rolle, dass die Waldschule als Ganztagsschule die Entwicklung stärker beeinflusste, als der übliche Schulbetrieb, aber auch die übrige Situation unterschied sich deutlich von der heutigen. Die meisten waren im Jungvolk oder bei den Jungmädeln (beides Organisationen der Hitlerjugend). Wir sahen als Kinder dieses etwa so wie heute die Mitgliedschaft in irgend einer Jugendgruppe. Da wir beide im „Nachrichtenjungvolk“ waren, waren wir eben sehr davon angetan, unseren technischen Interessen nachgehen zu können. Befreiung von der Schule am Nachmittag gab es nur gegen Vorlage einer Bescheinigung der Eltern. Politische Beeinflussung durch die Schule habe ich nicht erlebt und Entschuldigungen für Faulheit wie: „ich hatte HJ-Dienst“ zogen nicht.
Der Krieg brachte verständlicherweise eine Reihe von Veränderungen. Lehrer wurden eingezogen und neue Lehrer kamen, die keineswegs immer in den nun mal besonderen Waldschulbetrieb passten (hierzu gehörte z.B. auch Frau Dr. Hüttmann, die nicht das beste Verhältnis zum damaligen Direktor Krause hatte).
Mit der Zunahme der Angriffe mussten die Jungen der Obertertia (die inzwischen V. Klasse, die. die 5. Oberschulklasse, hieß) abwechselnd Luftschutzdienst machen. Wir schliefen dann zu zweit jeweils eine Nacht auf Matratzen in einem Klassenzimmer und mussten bei Fliegeralarm von einem Splittergraben aus beobachten, ob Brandbomben auf das Schulgelände gefallen sind, und sollten im Ernstfalle löschen. Wir haben diesen Ernstfall glücklicherweise nicht erlebt und wären bei unserer mangelhaften Ausbildung auch sicher schlechte Feuerwehrleute gewesen.
Das Jahr 1943 brachte ein Ende der regulären Schulzeit. Ich selbst lag mit gebrochenem Bein im Krankenhaus, die Mitschüler wurden Flackhelfer und die Mädchen gingen mit der Schule nach Henkenhagen an die Ostsee oder an andere Schulen außerhalb Berlins.
Das Kriegsende war für uns nicht so sehr ein Ende, es war ein neuer Anfang! Ab 6. Juni 1945 waren wir nun wieder Schüler – nach unserer Kriegserfahrung allerdings doch wohl eine besondere Spezies: geistig ausgehungert und nicht nur lernwillig, sondern lernbegierig. Der noch lange an der Waldschule tätige Lehrer Fritz Hodeck sagte anlässlich des 25. Jahrestags unseres Abiturs: „Ihr habt uns völlig verdorben, wir dachten, es geht nun so weiter mit der Lerngier der Schüler.“ Trotz allem war die Schule zunächst zweitrangig, weil man in erster Linie damit beschäftigt war zu überleben. Zwar bekamen Schüler die Lebensmittelkarte III, die so genannte Angestelltenkarte (es gab fünf Kategorien: I Schwerstarbeiter und Gelehrte, II Arbeiter, III Angestellte, IV Kleinkinder und V Hausfrauen und andere, die einer „begründeten Nichtbeschäftigung“ nachgingen), aber eine ausreichende Ernährung war damit natürlich nicht möglich. Als Schüler „nahm man sich gelegentlich einen schulfreien Tag“ und fuhr in die Umgebung, um zusätzliche Lebensmittel zu beschaffen. Nachts oder in den frühen Morgenstunden ging man mit Axt und Säge los, um irgendwo noch einen Baum für den Ofen zu ergattern. Der Schulweg wurde zu Fuß gemacht, wie man eben überhaupt in jener Zeit noch sehr viel und sehr weit laufen musste, obwohl öffentliche Verkehrsmittel in erstaunlich kurzer Zeit, wenn auch nur bis zur nächsten Brücke oder einem anderen noch unüberwindbaren Hindernis fuhren.
Im Laufe des Sommers 1945 kamen die Evakuierten wieder nach Berlin und damit auch einige der Mitschüler und einige wenige der alten Waldschullehrer. Auch sonst fand so mancher Wechsel der Mitschüler statt, so dass die Oberprima schließlich zehn Jahrgänge umfasste; die Jüngste war 17, der Älteste war 27 Jahre alt. Letzterer hatte sein Abitur schon mal in Schlesien gemacht, hatte aber das Zeugnis in den Wirren des Krieges verloren, wusste nichts von dem Verbleib seiner Eltern, musste die Prüfung also nochmals machen. Wenige Monate nach der Prüfung kamen seine Eltern mit sonst nichts als seinem Abizeugnis!
Der Lehrplan war nicht mehr wie vorher, also differenziert in einen sprachlichen und naturwissenschaftlichen Zug, sondern es gab nur noch einen. Geschichte war zu dieser Zeit kein Lehrfach mehr und jeder hatte vier Sprachen zu lernen. Für alle neu war Russisch, so dass alle die gleichen Startbedingungen hatten. Latein und Englisch hatten zwar auch alle, allerdings je nach Alter zwischen acht und drei Jahre, am größten war die Diskrepanz bei Französisch, weil es hier eine sehr kleine Minderheit gab, die bisher keinen Unterricht in diesem Fach hatte. Dr. Schäfer – damals neu an dieser Schule, aber noch viele Jahre Waldschullehrer – wusste dieses Problem mit Fingerspitzengefühl zu lösen.
Im Spätsommer wurde die Klasse geteilt, die einen sollten im Herbst, die anderen im nächsten Sommer das Abitur machen. Da im Magistrat für Volksbildung „jemand“ das Sagen hatte, der dagegen war, daß an der „Kapitalisten-Schule“ Abitur stattfand, wurde daraus nichts, und die Parallelklassen zogen im Sommer 1946 gemeinsam in die erste Abiturprüfung an der Waldschule nach dem Krieg.
Dr. Wolfgang Krönert, Schüler des Abiturjahrgangs 1946
Auch alle anderen ehemaligen Waldschüler verschiedenen Alters geraten, wenn die Rede auf ihre Schule kommt, in schwärmerisches Entzücken, das weit über das Maß der sonst üblichen, nostalgisch verklärten Liebe eines Erwachsenen zu seiner „alten Penne“ hinausgeht. Noch heute kommen die Ehemaligen jedes Jahr aus allen Himmelsrichtungen zusammen zu einem Treffen in Berlin und vertiefen in der Zwischenzeit den Kontakt untereinander durch zwei jährlich erscheinende „Waldschulbriefe“ (ungefähr von dem Umfang eines Taschenbuches).
Was war das Besondere an dieser Schule?
Die Waldschule unterschied sich von den herkömmlichen Schulen nicht nur durch ihre ungewöhnliche pädagogische Konzeption, mit der sie 1910 von verantwortungsbewussten Stadtvätern ins Leben gerufen wurde, die trotz des Reichtums der Stadt Charlottenburg nicht die lichtlosen Mietskasernen der Arbeiterviertel übersahen und daher der 1904 gegründeten Waldvolksschule eine Höhere Waldschule beifügten.
Hier wurde in frischer Luft und bei gesunder Ernährung der körperliche und damit auch geistige Allgemeinzustand der benachteiligten Kinder entschieden verbessert. Der Schulbetrieb fand ganztägig in Holzbaracken oder nach Möglichkeit sogar im Freien statt. Auch herrschte eine in jener Zeit völlig unübliche Koedukation von Jungen und Mädchen. Zunächst bestand die Schule nur im Sommerhalbjahr, im Winter gingen die Schüler wieder in die städtischen Stammschulen zurück. Diese häufigen Schulwechsel führten allerdings zu nicht geringen Problemen. Daher betrieb der 1921 an die Schule gekommene Direktor Wilhelm Krause energisch die Umwandlung der Waldschule in eine Ganzjahresschule (seit 1923). Auch in einer anderen Hinsicht erfuhr der Waldschulgedanke eine bedeutsame Ausweitung: man verstand die Waldschule jetzt nicht mehr nur als Sonderschule für erholungsbedürftige Kinder, sondern als Einrichtung, die auch für gesunde Kinder als ideale Gestalt der neuen Schule anzusehen sei.
Mit Direktor Krause, der die Schule bis 1945 leitete und durch seine Persönlichkeit entscheidend prägte, begann die eigentliche Blütezeit der Waldschule. Eine kaum vorstellbare Lebensgemeinschaft entwickelte sich zwischen dem „Waldschulvater“ Krause, den dankbaren Schülern und Lehrern, für die die Schule der Inhalt ihres ganzen Lebens wurde. Alte Waldschüler erzählen wenig über ihren Unterricht, obwohl die Lernerfolge denen anderer Schulen entsprachen, umso mehr über gemeinsame Aktivitäten der „Waldschulfamilie“ außerhalb der Unterrichtszeit wie Spiele, Ausflüge, Theateraufführungen, Bau des Schwimmbades u. a. Dieses ungewöhnlich starke Gefühl der Zusammengehörigkeit, das Erlebnis einer festen Gemeinschaft, die Freude und Sicherheit bot, das war es, was die Waldschule von den anderen Schulen unterschied und was uns Nachkommen noch heute staunen lässt.
Auch in den folgenden Jahren trieb der Direktor den Ausbau der Schule zu einer vollwertigen höheren Lehranstalt voran: ab 1928 wurde die Mittlere Reife verliehen, 1936 fand in der inzwischen zur Oberrealschule erweiterten Waldschule das erste Abitur statt.
In der NS-Zeit konnte die Schule zunächst ihren Charakter einer in sich geschlossenen, heilen Welt bewahren, letzten Endes natürlich der politischen Katastrophe nicht entgehen. 1943 wurden Lehrer und Schüler nach Henkenhagen (Pommern) evakuiert, das Gelände und die Schulbaracken für militärische Zwecke genutzt und schwer verwüstet. Die Waldschule in ihrer ursprünglichen Gestalt hatte aufgehört zu existieren.
Am 6. Juni 1945 begann eine neue, die heutige Waldschule ihren Betrieb, aufgebaut mit großer Energie von vorwiegend neuen Lehrern. Die alte pädagogische Konzeption wurde nicht erneuert, eine „normale“, allen Kindern offene Schule mit Halbtagsbetrieb entstand.
Zwar stellte sich in der Aufbauzeit der 50er Jahre bald wieder ein vertrautes Miteinander zwischen Lehrern und Schülern ein. Wenn auch jetzt mittags Unterrichtsschluss war, gingen sie doch selten gleich nach Hause, sondern verbrachten den Nachmittag mit gemeinsamen Aktivitäten auf dem Schulgelände. Aber die vollständige äußere und innere Angleichung an herkömmliche Schulen war nicht mehr aufzuhalten. Seit 1956 wurden in knapp 20 Jahren die für die Waldschule charakteristischen Holzbaracken – gemütlich und unpraktisch – durch gut ausgestattete, ebenerdige Steinhäuser ersetzt. Eine neue Turnhalle wurde gebaut, ein Verwaltungsgebäude und schließlich nach Einrührung der reformierten Oberstufe 1973 das große Oberstufengebäude, mit zwei Stockwerken schon fast ein Hochhaus. Mancher ehemalige Schüler stellt mit Wehmut fest, dass einzig zwei „Luftklassen“ und die alte Turnhalle aus früherer Zeit übrig geblieben sind.
Geblieben ist aber auch das weitläufige Gelände – heute allerdings eher Park als Wald – mit hohen alten Bäumen und ausgedehnten Rasenflächen, durchaus noch eine Idylle für denjenigen, der Augen dafür hat. Denn wie vor 75 Jahren turnen die Eichhörnchen auf den Bäumen herum oder marschieren Spinnen und Käfer durch die Klassen und verkürzen so den Schülern manche allzu lange Stunde. Auch heute stört kein Autolärm die friedliche Stille, höchstens Vogelgezwitscher und munterer Pausenkrach der jüngeren Schüler. Und auch heute findet bei schönem Wetter manche Unterrichtsstunde im Freien statt. So betrachtet haben die Waldschüler immer noch eine außergewöhnliche Schule.
Aber nicht nur die schöne Lage, sondern auch das attraktive Fächerangebot der Wald-Oberschule zieht Schüler aus vielen Bezirken Berlins an. Ihnen wird die Wahl zwischen einem sprachlichen, naturwissenschaftlichen und sportlichen Schwerpunkt geboten.
Latein (ab Klasse 7 obligatorisch) und Französisch bzw Spanisch (ab Klasse 9 Wahlpflichtfach) können in der Oberstufe als Leistungskurse fortgeführt werden.
Innerhalb des mathematisch-naturwissenschaftlichen Fachbereichs – viele „Jugend-forscht“ – Landes- und Bundessieger wurden an unserer Schule für ihre Forschungen motiviert und ausgebildet – besteht seit 1971 das Fach Informatik, das damals an unserer Schule erstmalig in Berlin in dieser Größenordnung eingeführt wurde.
Schließlich werden auch sportliche Begabungen der Schüler besonders gefördert in zusätzlichen Unterrichtsstunden und zahlreichen Arbeitsgemeinschaften. Erfolge auf Landesund Bundesebene können kaum mehr gezählt werden.
Im Sommer 1985 wurde eine Woche lang das 75jährige Schuljubiläum gefeiert, u.a. mit einem großen Festakt in der Aula und anschließendem Sommerfest, einem Theaterabend, vielen Ausstellungen und anderen Aktivitäten. Die 160 Seiten starke Festschrift hat auch heute noch kaum etwas von ihrer Attraktivität eingebüßt und kann sogar noch in wenigen Exemplaren im Sekretariat erworben werden.
In der Organisation unserer Schule hat sich seit dieser Zeit im Wesentlichen nichts mehr geändert. Die politische Wende im November 1989 und die Wiedervereinigung eröffnete aber auch unserer Schule neue Möglichkeiten. Nicht nur, dass Wandertage und Klassenfahrten nun auch gern in die nähere und weitere Umgebung Berlins unternommen werden, die Schule hat auch Kontakte zu einem Gymnasium in Potsdam aufgenommen und besonders intensive zu einer Mittelschule in Vilnius/Litauen.
So können eigentlich Lehrer und Schüler dieser Schule, die zu allen Zeiten mit ihrem Wissen, ihrem Ideenreichtum und ihrem persönlichen Einsatz die Schule gestaltet haben, mit Zufriedenheit auf eine doch recht erfolgreiche pädagogische Arbeit zurückblicken.
Irene Fritsch (1993)
aus: Jahresbericht 1993 der Wald-Oberschule, S. 4-6, hrsg. von Dr. Josef Rabl